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Fast schon ein Weihnachtswunder

Die außergewöhnliche Geschichte von Karl Ratzek aus Berlin

Die ersten Probleme beginnen im Frühjahr 2015.
Karl Ratzek, heute 59 Jahre alt, ist zu diesem Zeitpunkt erfolgreicher Unternehmer, sportlich, kerngesund. Doch nachts wacht er immer häufiger auf. Ein ständiges Räuspern, ein Kratzen im Hals, das nicht verschwindet. Zunächst wirkt alles noch harmlos – doch Karl Ratzeks Sorge wächst. Eine Schwester von ihm ist bereits an Lungenkrebs verstorben.

Im CT zeigen sich rätselhafte Vernarbungen im Lungengewebe des Patienten. Er wird in die Klinik für Thoraxchirurgie am Klinikum Neukölln überwiesen, Gewebeproben werden entnommen. An das anschließende Gespräch mit dem Chefarzt erinnert sich Karl Ratzek noch genau. Die gute Nachricht: kein Lungenkrebs. Die schlechte Nachricht: Niemand kann erklären, woher die Vernarbungen und Umbildungen in seiner Lunge stammen.

Doch die Medizinerinnen und Mediziner lassen nicht locker und forschen weiter, bis schließlich die Diagnose feststeht: Karl Ratzek leidet an „Erdheim-Chester“, einer extrem seltenen Multisystem-Erkrankung, bei der bestimmte Typen weißer Blutkörperchen unkontrolliert wachsen und unterschiedliche Organe schädigen können. Benannt ist die Krankheit nach den beiden Ärzten, die sie erstmals beschrieben haben. Weltweit sind nur rund 500 Fälle dokumentiert.

Dass bei Karl Ratzek ausgerechnet die Lunge betroffen ist, stellt selbst innerhalb dieser ohnehin verschwindend kleinen Patientengruppe eine extreme Ausnahme dar. Erfahrungswerte, auf die Ärztinnen und Ärzte zurückgreifen könnten, gibt es also praktisch nicht.

Dennoch gelingt es dem Team am Vivantes Klinikum zunächst, die Erkrankung mit verschiedenen chemotherapeutischen Ansätzen einzudämmen. Über Jahre bleibt die Situation stabil. Doch im Jahr 2022 schreitet die Zerstörung des Lungengewebes unaufhaltsam voran. Die Atemnot nimmt zu. Den behandelnden Ärztinnen und Ärzten wird klar: Eine Lungentransplantation könnte die einzige verbleibende Chance sein. Sie nehmen Kontakt mit ihren Kolleginnen und Kollegen am Deutschen Herzzentrum der Charité auf.

Der Zustand von Karl Ratzek verschlechtert sich weiter. Zwar kann er noch zu Hause leben, unterstützt von einem Pflegedienst – am Ende jedoch ist er rund um die Uhr auf Sauerstoff angewiesen.

Mitte Mai 2024 wird er auf die Warteliste für eine Lungentransplantation aufgenommen. Allen Beteiligten ist bewusst, dass sie medizinisches Neuland betreten: Denn weltweit ist bislang nur ein einziger Fall dokumentiert, in dem bei einem Patienten mit Erdheim-Chester-Erkrankung eine Lungentransplantation durchgeführt wurde. Genaue Untersuchungen zeigen aber, dass ausschließlich die Lunge von der Erkrankung betroffen ist – und eine Transplantation damit erfolgversprechend.

Schon im Juni steht erstmals ein passendes Organ zur Verfügung – nach so kurzer Wartezeit eigentlich ein großer Glücksfall. Doch wegen Unwettern über Deutschland kann das Entnahmeteam nicht fliegen. Im September gibt es erneut ein Angebot – diesmal erfüllt die Spenderlunge nicht die notwendigen Qualitätskriterien. Wieder scheitert der Versuch.

Am frühen Morgen des 4. Dezember klingelt erneut das Telefon. Es gibt ein weiteres Organangebot. Und diesmal kommt es zur Transplantation. Christoph Knosalla, chirurgischer Leiter des Herz- und Lungentransplantationsprogramms am Deutschen Herzzentrum der Charité, und sein Team transplantieren Karl Ratzek eine Spenderlunge.

Der Eingriff verläuft ohne Komplikationen. Dennoch: Was in den Tagen danach folgt, hätte angesichts von Karl Ratzeks schlechtem Zustand und seiner seltenen Grunderkrankung wohl kaum eine der beteiligten Spezialistinnen und Spezialisten zu hoffen gewagt. Denn der Patient erholt sich geradezu rasant. Schon kurze Zeit nach der Operation steht er wieder auf, läuft erste Strecken über den Stationsflur. Die relevanten medizinischen Werte entwickeln sich sehr gut.

Die Ärztinnen und Ärzte treffen schließlich eine ungewöhnliche Entscheidung: Karl Ratzek kann pünktlich zum Weihnachtsfest nach Hause entlassen werden – keine drei Wochen nach der Transplantation.

Heute sprüht er vor Energie und Zuversicht. Wieder arbeiten, vielleicht irgendwann sogar wieder Kampfsport treiben wie früher. Vor allem aber: aktive, geschenkte Lebenszeit mit seinem Sohn, seiner Tochter und seiner einjährigen Enkelin.

Ein schöneres Weihnachtsgeschenk, sagt Karl Ratzek, habe er in seinem Leben wohl noch nie bekommen. Wir wünschen ihm alles Gute.

Karl Ratzek (2.v.l.) mit dem Leitungsteam für Herz- und Lungentransplantation am DHZC: Dr. Paul Schmidt-Hellinger (Pneumologe), Prof. Christoph Knosalla (Chirurg) und Prof. Felix Schönrath (Kardiologe)

Vier Personen stehen nebeneinander in einem Krankenhausflur. Sie tragen Masken; zwei in weißen Ärztekitteln, einer in blauer Arbeitskleidung und eine Person in schwarzem Oberteil. Im Hintergrund ist eine Tür und eine helle Lampe zu sehen.
Vier Personen stehen nebeneinander in einem Krankenhausflur. Sie tragen Masken; zwei in weißen Ärztekitteln, einer in blauer Arbeitskleidung und eine Person in schwarzem Oberteil. Im Hintergrund ist eine Tür und eine helle Lampe zu sehen.

Karl Ratzek (2.v.l.) mit dem Leitungsteam für Herz- und Lungentransplantation am DHZC: Dr. Paul Schmidt-Hellinger (Pneumologe), Prof. Christoph Knosalla (Chirurg) und Prof. Felix Schönrath (Kardiologe)