Etablierte Praxis hinterfragen
Die Herzrhythmusstörung Vorhofflimmern gehört zu den häufigsten Komplikationen nach Bypass-Operationen. Bisher wird Patientinnen und Patienten zur Vorbeugung oft Kalium in relativ hohen Dosen verabreicht. Eine neue multizentrische Studie unter der Leitung des Deutschen Herzzentrums der Charité zeigt jedoch, dass geringere Kaliumgaben sicherer, schonender und kosteneffizienter sind. Die Publikation findet in der Fachwelt große Beachtung und könnte die medizinische Praxis in der Herzchirurgie nachhaltig verändern.
Vorhofflimmern ist eine häufige Komplikation nach Bypass-Operationen, die bei bis zu 30 Prozenz der Patient:innen auftritt und das Risiko für weitere gesundheitliche Probleme sowie längere Krankenhausaufenthalte erhöht.
Das Element Kalium spielt eine wesentliche Rolle bei der Regulierung des Herzrhythmus, weshalb es nach Herzoperationen oft zusätzlich in relativ hohen Dosen verabreicht wird, um das Risiko von Herzrhythmusstörungen zu verringern. Diese Praxis beruht jedoch nicht auf gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen und birgt Risiken: Denn eine übermäßige Kaliumzufuhr kann zu unerwünschten Nebenwirkungen wie Kreislaufbelastungen durch intravenöse Flüssigkeiten sowie Magen-Darm-Beschwerden führen.
Zudem ist die routinemäßige Kaliumgabe mit erheblichen Kosten verbunden, da sie kumulativ einen hohen personellen und materiellen Aufwand erfordert.
Unter der Leitung von Prof. Dr. Benjamin O’Brien, Direktor der Klinik für Kardioanästhesiologie und Intensivmedizin am Deutschen Herzzentrum der Charité (DHZC), wurde deshalb die „TIGHT K“-Studie durchgeführt. Ziel der Studie war es, zu untersuchen, ob die gängige Praxis, den Kaliumspiegel nach einer koronaren Bypass-Operation auf hohem Normalniveau zu halten, wirklich effektiv ist, um Vorhofflimmern nach der Operation zu verhindern.
An TIGHT K beteiligten sich 1.690 Patient:innen an 23 Herzchirurgie-Zentren in Großbritannien und Deutschland. Die Patient:innen wurden nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen aufgeteilt: Die eine Gruppe erhielt Kalium bei einem höheren Spiegel, während die andere Gruppe Kalium erst dann verabreicht bekam, wenn der Kaliumspiegel niedriger war als der untere Grenzwert des Normalbereichs.
„Unsere Ergebnisse haben das Potenzial, die klinische Praxis nach Herzoperationen grundlegend zu verändern“, sagt Prof. Benjamin O’Brien, Direktor der Klinik für Kardioanästhesiologie und Intensivmedizin und Leiter der „TIGHT K“-Studie.
Zentrales Ergebnis der jetzt im Journal of the American Medical Association (JAMA) publizierten Studie ist, dass in beiden Gruppen nahezu identische Häufigkeiten von Vorhofflimmern nach der Bypass-Operation auftraten.
Pro Patient:in konnten bei der niedriger dosierten Kaliumgabe im Durchschnitt rund 110 Euro eingespart werden. Angesichts der Gesamtzahl von mehr als 35.000 pro Jahr in Deutschland Bypass-Operationen könnte die entsprechende Modifikation der Standardtherapie einen erheblichen Beitrag zur Senkung der Gesundheitskosten leisten.
Die Studie wurde auf dem Kongress der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) in London vorgestellt und stieß in der Fachwelt auf breite Resonanz.
„Unsere Ergebnisse haben das Potenzial, die klinische Praxis nach Herzoperationen grundlegend zu verändern“, sagt Prof. Benjamin O’Brien, „im Sinne einer evidenzbasierten Medizin, die auch etablierte medizinische Praxis immer wieder auf den Prüfstand neuer Erkennisse stellt. Wir sehen hier großes Potenzial, sowohl die Patientenversorgung als auch die Ressourcennutzung weiter zu optimieren.“